„Gefällt sie dir wirklich, oder soll ich sie nicht doch in den Altkleidersack geben?“ – „Sie ist wunderschön, Mami. Ich ziehe sie gern an.“ Die Rede war wieder mal von einer der Blusen meiner Mutter. Auf meinen Wunsch hin, schenkte mir meine Mutter ein paar ihrer Kleidungsstücke. Ich liebte sie – nicht nur die Blusen, sondern auch mein Mami. Mit einem ungläubigen Lächeln, in dem aber sehr viel Mutterliebe steckte, fragte sie mich, ob ich denn nicht ausgelacht werden würde in der Schule, wenn ich sowas Altmodisches tragen würde. Eine leichte Verunsicherung regte sich in mir, aber ich wagte es trotzdem. Und ich sah den stolzen und gleichzeitig sanften Glanz meiner Mutter in ihren Augen. Ihre Tochter liebte etwas, was ihr selber einmal viel bedeutet hatte, an dem viele Erinnerungen hingen. Und ich liebte meine Mutter noch mehr und spürte die Verbindung zwischen uns, obwohl ich doch in der Pubertät steckte.

Ich fiel bös auf die Nase, denn natürlich bekam ich in der 6. Klasse zu spüren, dass ich mich nicht chick angezogen hatte. Enttäuscht machte ich mich zuhause an die Hausaufgaben. Meine Mutter spürte, dass etwas nicht stimmte und fragte mich traurig, ob ich wegen der Bluse gehänselt worden sei. Ich mochte es nicht, meine Mutter so traurig zu sehen und ich wollte nicht zugeben, dass der Grund meiner eigenen Traurigkeit die Bluse war. Also verneinte ich. Ich wollte die Bluse nicht mehr anziehen. Nicht, weil sie mir nicht gefiel, aber weil sie meinen Mitschülerinnen nicht passte. Es zerriss mir fast mein Herz – ich erinnere mich so gut. Es tat so weh, denn ich wollte wieder diesen sanften, liebevollen Glanz in den Augen meiner Mutter sehen, ich wollte sehen, dass sie stolz und glücklich darüber war, dass mir ihre Bluse gefiel – und sie gefiel mir ja wirklich auch. Aber ich wollte auch meinen Mitschülerinnen gefallen. Ich wollte keine Aussenseiterin sein, hatte nicht den Mut dazu. Was tun? Langsam drückte ich meinen Fülli auf das eine Löchlein im Spitzenmuster der Bluse und beobachtete entsetzt, wie sich der blaue Tintenfleck mehr und mehr ausbreitete. Meine Kolleginnen sahen mich nicht gern anders – und ich hatte nicht den Mut, zu meiner modischen Vorliebe zu stehen. Ich hatte das Gefühl, meine Mutter zu verraten und schämte mich sehr dafür. Meine Tränen konnten das gute Stück nicht reinwaschen und meine Mutter verstand, dass ich die Bluse nicht mehr anziehen mochte. Ob sie noch lange versucht hatte, den Tintenfleck auszuwaschen, weiss ich nicht mehr. Aber dass ich traurig war, sie so traurig zu sehen, das weiss ich noch.

Mami und Regi

Das war in der Ferienwohnung in Walzenhausen. Ich war zwei Jahre alt und erinnere mich daran, dass ich kurz nach der Aufnahme das Bärli vom Balkon fallen liess. Mein Bruder musste es wieder holen. Das Bärli habe ich im März 15 mitgezügelt ins neue Zuhause.

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Eine andere ihrer Blusen trage ich bis heute. Mit Stolz, auch wenn vor rund 30 Jahren eine Mitschülerin der Haushaltungsschule beim Bügeln meiner Bluse unsorgfältig war und ein brauner Fleck zurückblieb. Ich liebe sie mit der ganzen Geschichte, welche an dieser Bluse hängt. Ich liebe sie mit ihrem Fleck, ihren Knöpfen, welche den Perlmutterglanz verloren haben, der Masche am Halsauschnitt, welche ich nie mehr so schön binden kann, wie sie mal war. Die Liebe zu dieser Bluse ist vergleichbar mit der Liebe zu meiner Mutter. <3