Der Kulturplatz auf SRF1 zum Thema „Es lebe der Spielplatz“, weckte in mir Erinnerungen nach „meinem“ Spielplatz.
Ich (Jahrgang 1963) wuchs in EmmenbrĂŒcke in einem Hochhaus auf. Aufgrund der hohen AuslĂ€nderdichte, nennt man EmmenbrĂŒcke heute „Emmenbronx“. In meiner Kindheit kannte ich höchstens ein paar Italiener. Diese beneidete ich nicht, da sie sowohl von Lehrern wie von MitschĂŒlern oft geplagt und „Tschinggen“ genannt wurden. Sie mussten zudem nach der Schule in eine eigene „Doposcuola“ gehen. Doch das wĂ€re ein eigenes Kapitel…
Unser Spielplatz lag zwischen zwei HochhÀusern. Unter dem Spielplatz befand sich die Tiefgarage der beiden HÀuser. Es war eine RiesenflÀche (142 Meter LÀnge, sagt mir Google Maps, bis zur Meierhöflistrasse) und wie ich darauf sehe, hat sich da nicht gross was verÀndert.
Auf dem Spielplatz befanden sich fĂŒr jedes der HochhĂ€user je zwei Ritiseili, SandkĂ€sten, Röhren, KlettergerĂŒste, „Gigampfi“ und eine asphaltierte FlĂ€che, auf der man gut Rollschuhfahren oder im Winter auf der EisflĂ€che schlittern konnte (Schlittschuhe besass kaum jemand). Und jede Menge RasenflĂ€che, welche man tatsĂ€chlich betreten durfte, BĂŒsche, BĂ€ume, HĂŒgelchen, kleine Wege, auf denen man Rollschuhfahren, „Trottinettlen“ oder „Velölen“ konnte und ein paar rote BĂ€nkchen, auf denen die MĂŒtter oft sassen, miteinander plauderten und lismeten (strickten). Brauchte eines von uns Kindern Trost, musste es nur zu den BĂ€nkli rennen und hatte sofort die Aufmerksamkeit aller MĂŒtter. Ansonsten aber mischten sie sich nicht in unsere Spiele ein und im Grunde genommen, war es fĂŒr uns Kinder nur in wirklichen NotfĂ€llen so, dass man bei der Mutter Zuflucht suchte, ansonsten galt man entweder als „RĂ€tschibĂ€se“ (wenn man andere verklagte) oder als „Heultante“.
Ich weiss nicht, wieviele Kinder wir tatsĂ€chlich waren, welche in den zwei HochhĂ€usern wohnten, aber in meiner Erinnerung waren wir so um die 30ig. Schön war es fĂŒr mich vor allem auch dann, wenn wir altersdurchmischt spielten, also selbst die 5 Jahre Ă€lteren Kinder sich mit uns Kleinen abgaben. Es war so wohltuend, wenn ein Ă€lteres MĂ€dchen mich hĂ€rzig fand, mich an die Hand nahm, um mit mir vor den FĂ€ngern wegzurennen und mir die Spielregeln erklĂ€rte. In diesen leider eher seltenen Momenten, spielte dann sogar auch meine Schwester (8 Jahre Ă€lter als ich) mit mir in der Gruppe. Mein Bruder war fĂŒr solche Spiele schon zu alt.
An den SpielgerĂ€ten ĂŒbten wir „ZirkuskunststĂŒcke“ ein und fĂŒhrten sie einander vor.
Im Winter wurden die Ritiseili jeweils versorgt und wir vermissten sie. DafĂŒr konnten wir auf dem kleinen HĂŒgel schlitteln, erste Versuche auf den Holzskien wagen und Iglus oder SchneemĂ€nner bauen. Wir erfanden Schneespiele, zum Beispiel trampelten wir einen Irrgarten in den Schnee. Wenn der Hausabwart die Ritiseili wieder hinhĂ€ngte, gab es keinen Zweifel mehr: der FrĂŒhling hatte begonnen! Das bedeutete viel, nĂ€mlich, dass die Mutter auch einsehen musste, dass es nun „Kniesockenzeit“ war. („ChnĂŒsi“ auf Schweizerdeutsch) Den ganzen Winter ĂŒber mussten warme Strumpfhosen, auch unter den Hosen getragen werden. Aber wenn die Ritiseili hingen, konnte es sein, dass die Mutter dem Wunsch nach einem Röcklitragen und KniestrĂŒmpfen nachgab. Ein wichtiger Gradmesser dafĂŒr war allerdings noch, ob auf dem „Kniesockenberg“, den wir von zuhause aus sahen, noch Schnee lag oder nicht.
Vielfach spielten wir Kinder alle zusammen – und wenn fĂŒr ein Spiel zuwenig Kinder vorhanden waren, lĂ€uteten wir einander heraus. Wir spielten nebst selber erfunden Spielen, die altbekannten wie Versteckis und „normalem“ Fangis, aber auch „Pfiilversteckis“, „TierverkĂ€uferlis“, spielten „Seiligumpi“, Gummitwist, „Himmel und Hölle“, „RĂ€uber und Poli“ oder „Völkeren“. Ob heutzutage noch alle Kinder diese Spiele kennen?
Wenn ich GlĂŒck hatte, durfte ich nach dem Abendessen sogar nochmals rausgehen, bekam dann aber eine kleine Uhr mit an den Hosenbund, welche alle so chick fanden. Meine Mutter konnte sie aufziehen – eine halbe Stunde oder eine Stunde… und wenn es an meinem Hosenbund lĂ€utete, wussten alle Kinder: die Regi muss raufgehen, da gibt es kein Pardon. đ Es nĂŒtzte nichts, den Eltern zu klagen: „Die anderen dĂŒrfen lĂ€nger bleiben“. „Wir sind nicht die anderen!“, hiess es dann bloss.
Schlimm war, wenn ich mit den Hausaufgaben nicht vorwĂ€rts rĂŒckte und meine Spielkameraden draussen kreischen und lachen hörte. Es half nichts: zuerst mussten die Aufgaben erledigt werden. Nur einmal machte meine Mutter eine Ausnahme und liess meinen Kopf verlĂŒften, weil ich mit den cheiben Bruchrechnungen meine grösste MĂŒhe hatte. Ich bekam die oben erwĂ€hnte Uhr an die Hosen gehĂ€ngt und somit eine Verschnaufpause, bevor ich mich dann wieder an die Aufgaben machen musste.
Wenn ein Kind mit einem anderen Streit hatte, konnte dies soweit fĂŒhren, dass wir alle nicht mehr miteinander spielten, sondern es zwei Cliquen gab: die vom vorderen und die vom hinteren Hochhaus. Wehe dem, der wĂ€hrend einer solchen Zeit ein SpielgerĂ€t eines anderen Hauses benutzte! Dann konnte es vorkommen, dass ich als MĂ€dchen von grösseren Knaben abgeschlagen wurde. So hat in meinem Fotoalbum mein Vater festgehalten, dass ich mal mit der Frage zu ihm kam: „Papi, was ist ein Gingg?“ Er wusste es nicht, aber ich fand es leider dann heraus, was schmerzhaft war, denn es hiess, ans Schienbein gekickt zu werden. Doch als ich herausfand, dass ich mit meinem grossen Bruder, er ist 10 Jahre Ă€lter als ich, angeben und gar drohen konnte, hörten BelĂ€stigungen tatsĂ€chlich auf.
Im Sommer hĂ€ngten wir oft TĂŒcher am Stacheldraht ein und zĂŒgelten viele HaushaltgegenstĂ€nde und Lesesachen nach draussen, um dort zu „MĂŒeterlen“. (Mutter- und Kind spielen.) Ein grosser Hit war unser Zelt, in dem ich mal alleine auf dem Spielplatz ĂŒbernachten durfte. Aber es war eine unruhige Nacht. Es kam mir sehr abenteuerlich vor.
Nicht immer tummelten sich Kinder auf dem Spielplatz. Gerade an den Wochenenden, war er oft leer, denn es war in Mode, dann jeweils mit der ganzen Familie per Auto eine Fahrt ins Blaue zu unternehmen. So konnte man die heile Familie und das hippe Auto miteinander der grossen Ăffentlichkeit vorfĂŒhren. Wir hatten kein Auto und ich erinnere mich, dass es mir oft langweilig war auf dem Spielplatz. Dann kurvte ich allein mit dem Velo auf dem Hartplatz vor dem Haus herum und stellte mir dabei vor, ich wĂŒrde mit meinem Pferd einen Hindernisparcour absolvieren, hĂŒpfte alleine auf dem „Himmel- und Höllespiel“ und wenn ich GlĂŒck hatte, konnte ich meinen Vater ĂŒberreden, mit mir Federball oder Boccia zu spielen. Meine Mutter beteiligte sich nie an solchen Spielen.
Manchmal durfte ich „Pan Tau“ oder „Pippi Langstrumpf“ im Fernsehen schauen, aber dann hiess es nach einer Sendung: „So und jetzt gehe noch etwas draussen spielen bei dem schönen Wetter.“ Wenn dann niemand draussen war und auch das LĂ€uten an den TĂŒren nichts brachte, hĂŒpfte ich alleine draussen rum und spielte die geschauten Sendungen nach. Lautstark sang ich dann: „Hei Pippi Langstrumpf, tralli trallala, trallahopsassa. Hei Pippi Langstrumpf, die macht was ihr gefĂ€llt“.
Ich erinnere mich nicht, dass jemals Erwachsene reklamiert hĂ€tten, wir seien zu laut oder dĂŒrften was nicht tun. Selbst vor dem Hausabwart hatten wir keine Angst. Respekt schon, denn wenn er am RasenmĂ€hen war, wusste jedes Kind, dass man ihn nicht stören durfte und einen Moment lang nicht auf den frisch gemĂ€hten Rasen stehen sollte. Aber manchmal, im Hochsommer kam es sogar vor, dass er den Rasensprenkler laufen liess und nichts dagegen hatte, wenn wir uns in den Badekleidern kreischend im herumwirbelnden Wasserstrahl vergnĂŒgten.
Vor etwa 20 Jahren war ich mal mit meinen Kindern zusammen auf diesem Spielplatz. Ich wollte ihnen den Zauber meiner Kindheit nĂ€her bringen. Aber der Spielplatz lag traurig und einsam da. Ob das daran lag, dass Wochenende war đ oder wird er gar nicht mehr so oft benutzt, wie zu unserer Zeit? Es wĂ€re schade.
Es stimmt so haargenau aber nicht unbedingt auf dem Spielplatz, sondern auf der BahnhofstraĂe, a’zell. Es kam höchstselten ein Auto. Es lief immer etwas. Wir waren sehr viele Kinder. Die bĂ€ckersfrau meinte es sei lustiger gewesen mit uns allen und unterhaltsamer als Fernsehen. 10 Jahre spĂ€ter Alles anders. Das NachzĂŒglerli hĂ€tte es nicht mehr so lustig gehabt wie wir. Es sei trostlos geworden auf der BahnhofstraĂe. Wir beteiligten erinnern uns gerne daran.
Unser Spielplatz war zu 100 Prozent autofrei. Und auf dem Platz vor dem Haus, wo wir Velofahren und Rollschuhfahren konnten, fuhren nur Anwohner vor, welche wussten, dass da spielende Kinder waren. Es passierte nie was.