Kindererziehung im Wandel der Zeit – Teil 1

Gehorsam und Pflichterfüllung gegenüber Erwachsenen und Disziplin – dies waren drei typische „Tugenden“, welche Kindern über Jahrzehnte eingetrichtert und nicht selten eingeprügelt wurden. In der Schule und im Elternhaus war es für ein Kind tabu, zu widersprechen.

„Tatzen-Geben“ (mit dem Lineal auf die Finger schlagen) war als Bestrafung ungehorsamer Kinder legitim. Mit Lederriemen, Teppichklopfern, dünnen Rohrstecken wurden kindliche Gesässe traktiert, um sie fühlen zu lassen, dass die Erwachsenen sagen, wie sie sich zu verhalten haben. Ohrfeigen, „Kopfnüsse“, das Ziehen an den Haaren oder Ohren und das Knien-Lassen des Kindes auf einem spitzen, dreikantigen Holzscheit, waren ebenfalls beliebte Disziplinarmassnahmen. Pfarrer, Lehrer und Eltern beriefen sich nicht selten auf den Bibelvers von Sprüche 13,24: »Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn bald.« Dabei waren sich die Erziehungsberechtigten nicht bewusst, dass das hebräische Wort „Rod“ für Rute auch mit „Korrektur“ übersetzt werden kann. Nach heutigen Bibelauslegern legitimiert dieser Vers nicht das Schlagen von Kindern, sondern es geht um das Erziehen im Allgemeinen. Einem Kind soll nach biblischem Erziehungsverständnis nicht alles erlaubt werden, sondern es soll Grenzen spüren, ähnlich wie sie der Autofahrer in Form von Leitplanken auf Autobahnen erlebt.

Körperstrafen im Strafrecht

Die Generationen bis 1960 kannten einzig den strengen Erziehungsstil der vorangegangenen Jahrzehnte. Gehorchen, ohne kindliche Wünsche zu äussern, das war das Übliche, was für ein Kind galt. Erst ab den 1960er Jahren setzte eine Trendwende in der Gesellschaft ein. Seither gilt es als barbarisches Relikt früherer Zeiten, Kinder körperlich zu bestrafen. Allerdings sind bis heute in den meisten Ländern der Welt Ohrfeigen oder Schläge auf den Allerwertesten als Erziehungsmittel legal, solange sie „massvoll“ und „angemessen“ sind. Anders als in der Schweiz, sind in Deutschland, Schweden, Island, Finnland, Dänemark, Norwegen, Italien, Österreich, Zypern, Kroatien, Neuseeland, Costa Rica, Venezuela und Italien die gesetzlichen Regelungen strikt und verbieten körperliche Züchtigungen. Das schweizerische Strafgesetzbuch sagt, Körperstrafen seien gesetzlich erlaubt“ im Sinne von Artikel 14, „solange sie als Befugnis der elterlichen Sorge gelten“. Einzig wiederholte körperliche Bestrafungen, die „das allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass“ überschreiten, werden als Tätlichkeit von Amtes wegen verfolgt.

Autoritärer und antiautoritärer Erziehungsstil

Als die Gesellschaft sich von der autoritären, politischen Führung, zur Demokratie bewegte, wurden Zweifel an strengen Erziehungsmethoden laut. Die sogenannte 68er Bewegung setzte einen Gegentrend: die antiautoritäre Erziehung. Sie proklamierten, dass jede Erziehung Gewalt sei. Dem Kind sollte ein eigener Freiraum zugestanden werden und sie sollten zu selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen, ohne ihnen Grenzen zu setzen.

Fortsetzung im Teil 2

War es früher klar, dass es Aufgabe der Erziehungsberechtigten war, Kinder zu disziplinieren, so ist es heute komplizierter, einen eigenen Weg zu finden, Kinder zu angenehmen Zeitgenossen heran zu ziehen. Viele Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Mit dieser Problematik wird sich die Fortsetzung des Themas in einem 2. Teil beschäftigen.

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Kindererziehung im Wandel der Zeit – Teil 2

Bis in die 1960er Jahre musste nicht darüber diskutiert werden, wie man ein Kind zu erziehen hatte. Disziplin und Gehorsam ohne Widerrede wurden, wenn nötig, eingeprügelt. Die antiautoritäre Erziehung hat eine neue Sichtweise in die Erziehung gebracht. Das Kind sollte von Zwängen und der Übermacht der Pädagogen befreit werden, um ihre Persönlichkeiten entfalten zu können.

Kritiker sagen, dass dieser Erziehungsstil lediglich die Herrschaftsverhältnisse umdrehe und jetzt die Erziehungsberechtigten dem Willen des Kindes unterworfen werden. Benötigt das Kind überhaupt eine Erziehung und falls ja – wie kann ich es zu einem selbstbewussten und dennoch rücksichtsvollen Erwachsenen führen?

Logische Konsequenzen zeigen

Es ist ein Trugschluss zu meinen, dem Kind keine Grenzen zu setzen, ihm alle Wünsche zu erfüllen – kurz, es rundum zu verwöhnen, sei Liebe. Lernen Kinder, hilfsbereit und höflich zu sein, wenn ihnen alles erlaubt ist? Wird man sie als Erwachsene lieben, wenn sie nie gelernt haben, situationsbedingt ihre eigenen Bedürfnisse hinten an zu stellen? Erziehung meint: der Erwachsene hat die Aufgabe, einem Kind zu verdeutlichen, dass seine Taten Konsequenzen nach sich ziehen. Wenn ein Kind Gewalt ausübt oder meint, die Welt sei es ihm schuldig, sich nach seinen Wünschen zu richten, hat dies Auswirkungen auf seine Beziehungen. Wir Erwachsenen sind in der Pflicht, dem Kind aufzuzeigen, dass es keine Liebe erntet, wenn es Selbstsucht sät. Es ist unsere Verantwortung, ihnen nicht zu erlauben, sich rassendiskriminierend oder egoistisch zu verhalten. Keinem Kind gefällt es, Grenzen zu spüren. Eltern von Kleinkindern in der ersten Trotzphase, können ein „Lied davon singen“.

Was tun in der Überforderung?

Heutigen Eltern fehlt ein verlässliches Erziehungsmodell. Sowohl der autoritäre, wie der antiautoritäre Stil zeigten seine Schwächen. In Zeitungs-Kommentarspalten wird kontrovers diskutiert, ob unsere Gesellschaft generell kinderfeindlicher wurde oder die Eltern ihre Sprösslinge masslos verhätscheln. Weil zuerst Ausbildung und Karriere im Vordergrund stehen, werden Menschen immer später Eltern. Das Einzelkind ist keine Seltenheit. Der Aufenthalt mit Kindern, welche zuhause gewohnt sind, „Prinz“ oder „Prinzessin“ zu sein, birgt an öffentlichen Orten wie Restaurants oder Flugzeugen enormes Konfliktpotential. Allen Eltern ist gemeinsam, dass sie dem Kind genug Zeit zum Spielen schenken möchten und ausreichend Liebe und Förderung. Aus der Bestrebung, sowohl gute Eltern, wie erfolgreich im Beruf zu sein, resultiert schnell ein Gefühl der Überforderung. Einem Kind zu zeigen, dass man es bedingungslos liebt und es für gutes Verhalten zu loben, fördert die Eltern-Kind-Beziehung. Sich Zeit füreinander zu nehmen und sinnvolle Regeln zu vereinbaren, sind gute Wege, eine angenehme Atmosphäre im Zusammenleben zu fördern. Wir sollten als Erwachsene gute Vorbilder für die Kinder sein, uns aber dennoch selber entlasten vom Druck, perfekt sein zu wollen.

Familien- und Erziehungsberatungsstelle Nidwalden

Es ist keine Schande, sondern ein Zeichen von Stärke, bei Zeichen der Überforderung Hilfe anzunehmen. Die Familien- und Erziehungsberatungsstelle Nidwalden bietet kostenlose und unabhängige Beratung. Gemeinsam wird eine liebevolle und konsequente Erziehung gelingen.

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Diese beiden Artikel erschienen am 1. März 18 und 22. August 18 im Nidwaldner Blitz. Dort bin ich als Freelancerin tätig.