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Nie hat er sich beklagt. Jahr für Jahr seinen Dienst treu verrichtet. Die feinen Sachen geschleppt, sich still verhalten und sich nicht in den Mittelpunkt gerückt, wenn die Kinder durch ihn beschenkt wurden. Nie einen Dank erhalten. Er stinke ein bisschen und jucke auf seinem Rücken, meinte kürzlich der Esel. All dies hat er geduldig ertragen. Die leuchtenden Kinderaugen waren ihm jeweils Geschenk genug. Doch diese Demütigung nun ist zu viel. Am liebsten würde er in den Boden versinken und rot werden, wenn er könnte.

Verwirrt, verlegen und erschrocken beobachtet er, wie in regelmässigen Abständen ein spanisches Nüssli aus ihm herauskullert. Der Samichlaus und auch sein Begleiter, der Schmutzli, haben noch nichts bemerkt. Der Samichlaus führt den Esel und plaudert mit dem Schmutzli – und er, der alte Sack, liegt auf dem Eselsrücken. Er hat ein Loch! So was hat er noch nie erlebt. Der Samichlaus konnte immer auf ihn zählen. Am Morgen hat er den alten Jutesack prall mit Orangen, Mandarinen, Lebkuchen, Nüssen und kleinen Süssigkeiten gefüllt, und der Sack ist stolz gewesen und hat sich auf die vielen Kinder gefreut. Und jetzt das. Schon wieder kullert eine Baumnuss aus seinem Inneren! Bisher sind es nur kleine Spanische Nüssli gewesen, die den Weg nach draussen gefunden haben. Aber jetzt – sogar ein Mandarinli! Das Loch scheint grösser zu werden – und er kann nichts dagegen tun. Wenn das so weitergeht, wird er leer sein, wenn der Samichlaus und der Schmutzli beim ersten Kind anklopfen! Der alte Jutesack ist verzweifelt! Schon purzelt sogar eine Orange aus dem Loch auf die Strasse! Der Samichlaus und der Schmutzli werden schimpfen und ihn fortwerfen. Er hat bestimmt ausgedient und schimpft sich selber einen „alten Sack“. Wenn ein Sack weinen könnte, so würden nun seine Tränen zusammen mit den Spanischen Nüssli und den Früchten auf den Weg kullern. Er wird immer leichter, weil er häufiger und grössere Waren verliert, und gleichzeitig fühlt er, wie sein Herz schwerer wird, weil er auf dem Weg zu Kindern ist, die nun keine Geschenke mehr erhalten! Und er allein ist schuld daran, dass sie traurig und enttäuscht sein werden.

„Dort vorn ist der Samichlaus! Wir haben ihn gefunden!“, rufen plötzlich Kinderstimmen hinter ihnen. Eine grosse Kinderschar umringt jetzt den Samichlaus, den Schmutzli und den Esel mit dem Sack auf dem Rücken. Jedes der Kinder trägt in den Händen Nüsse und Früchte. Sie haben die seltsame Spur verfolgt, die der Samichlaus und sein Gefolge auf der Strasse hinterlassen. Hier eine Mandarine, dort Nüssli, und es wurde immer einfacher, dieser Fährte zu folgen, da die Warenmenge am Boden immer grösser wurde.

„Ja, was ist denn das?“ Der Samichlaus hält den Esel an und schüttelt den Kopf. Alle zusammen finden schnell heraus, dass der alte Jutesack ein Loch hat. Aber anders, als es der Sack erwartet hat, folgt nun kein Donnerwetter. Der Samichlaus sagt den Kindern, dass sie die gefundenen Sachen heimtragen dürfen. Er würde umkehren, den Sack flicken und später mit neuen Waren zu ihnen auf Hausbesuch kommen. Der Schmutzli backe neue Lebkuchen und Guetzli. Früchte und Nüsse hätte er noch genügend zu Hause. Im Sack drin befinden sich nur noch ein paar wenige Mandarinli, grosse Lebkuchen und dickbäuchige Orangen. Diese verschenken der Samichlaus und der Schmutzli denjenigen Kindern, die nicht so viel in ihren Händen halten wie andere.

Sanft streicht der Samichlaus seinem Jutesack über den Rücken. „Du bist mir einer! Wolltest mir wohl einen Streich spielen, was?“ „Nein, nein, das käme mir nie in den Sinn“, will der Sack antworten, aber er kann leider nicht sprechen. „Du hast ja recht, wenn du einmal auf dich aufmerksam machst“, spricht der Samichlaus leise weiter. „Länger als jeder Esel und jeder Schmutzli dienst du mir treu. Den Kindern bringe ich viel Lob, aber dir habe ich nie gesagt, wie dankbar ich für deine Hilfe bin, sondern habe dich in jeder Samichlauszeit ganz selbstverständlich mit den Geschenken gefüllt und darauf vertraut, dass du stark bist. Dein treues Dienen hat dir Lebensnarben beschert und ein paar davon sind nun halt aufgesprungen. Ich musste damit rechnen, doch du hast einen schönen, dicken und farbigen Flickstoff verdient!“ Wie wohl tun diese Worte dem alten Jutesack, und wenn er könnte, würde er vor Rührung eine Träne verdrücken. Aber eben – Säcke können ja nicht weinen.

Betrachte doch dieses Jahr den Sack des Samichlaus’ einmal ganz genau. Du hast ihn auch noch nie richtig beachtet, oder? Sondern hast dich immer auf die feinen Sachen gefreut, die der Schmutzli aus dem Samichlaussack holte? Vielleicht streichst du dem Sack mal ganz fein über seinen Rücken, das mag er bestimmt. Und wenn du siehst, dass er geflickt worden ist, kennst du ja jetzt die Geschichte dieser Lebensnarben.

Von Regula Aeppli-Fankhauser