«Halbstarke» – das war in den Sechzigern ein übles Schimpfwort. Es bezog sich auf Jugendliche, die in Jeans herumlungerten, Haartollen trugen, auf Töffli knatternd durch die Gegend fuhren. Es waren jene Jugendlichen, die in Quartieren wohnten, die man als Arbeiterquartiere bezeichnete; es waren jene, vor denen ein bürgerlich behütetes Kind in der Schule Respekt, wenn nicht gar Angst hatte – weil da das Andere der Gesellschaft augenfällig sichtbar wurde.

Zitat Tagesanzeiger 

Als ich ein Kind war, wurden die Töfflibuben (für meine Mitleser aus Deutschland: Töffli = Mofa) höchstens leicht verärgert, aber viel eher mit einem gewissen Verständnis für die Zeit der Pubertät, zu der auch Rebellion einfach mitgehört, manchmal mit einem wissenden Lächeln abgetan. “Lasst sie doch, es sind halt Töfflibuben…”

Die Nidwaldner Töfflibuben haben seit dem Jahr 2000 einen lustigen Anlass kreiert: die sogenannte Teffli-Rally. Sooft habe ich darüber begeisterte Berichte gelesen, Fotos von wundersamen Töfflikreationen bestaunt, Videos von Kari Kreidler belacht, dass ich nun fand, es sei endlich mal Zeit, zusammen mit der Familie, diese Teffli-Rally selber mal zu erleben. Zumal unser Jüngster kürzlich die Töffliprüfung bestanden hat.

Die Anfahrt per Shuttle-Postauto gestaltete sich als mühsam, wurden doch soviele Leute hineingequetscht, wie ich es sonst nur von Berichten aus Japan kenne. Dazu war es heute nicht gerade kühl und die Klimaanlage des Postautos war mit sovielen Passagieren überfordert. An manchen Haltestellen wollten noch Leute ins bereits übervolle Fahrzeug zusteigen. Wir alle drin riefen solidarisch: “Jä nein, da passt niemand mehr rein!” Denkste, jeder, der wollte, konnte noch ein Plätzchen finden. Mein rechtes Bein hat nun blaue Flecken, weil ich an eine Sitzecke gedrückt wurde. Ein Blick zurück nach dem Aussteigen – und wir staunten einfach nur noch, wieviele Leute aus diesem Postauto quollen! Das war weltrekordverdächtig.

Ein neuer Rekord ist es wirklich bei den Besucherzahlen: 20’000 seien es gewesen, heisst es in den Medien. Mit 1’000 Besuchern haben sie mal begonnen…

Ich freute mich vor allem auf die fantasievoll umkleideten Töfflis, wie ich sie aus Bildern letzter Jahre kannte. Ein paar davon entdeckte ich – aber ein bisschen war ich schon enttäuscht, dass viele Fahrer mit ihren Fahrzeuge auch “einfach so” das Rennen bestritten. Ich spreche hier von Fahrer in der männlichen Form, weil ich erstaunlicherweise bloss ein, zwei Frauen unter ihnen entdeckte. Täuschte ich mich? Wir wunderten uns, dass es keine Frauenkategorie gab – und wir staunten, dass es nicht mehr Stürze gab.

(Galeriebilder anklicken, dann erscheinen sie gross.)

Solche Rennen scheinen Leute anzuziehen, welche eine besondere Art von Humor haben. Fäkalsprache, mir in den Nacken tippen, ein bisschen hin- und her streichen von hinten und sagen “hesch da ä Fleyge” (Fliege), meine Handtasche mit Bier bekleckern und fragen, ob ich auch mal nass werde – finde ich persönlich aber primitiv und unlustig. Klar, nicht jeder Besucher gehört in diese Kategorie, es gab auch viele Anständige, aber von “Pissen, Scheissen gehen, Seichen”, war schon auffällig oft die Rede, ob seitens Kinder oder Erwachsenen. Und dass mir der Zigarettenrauch direkt in die Nase geblasen wird, fand ich auch nicht grad so lustig, im Gegensatz zur Raucherin links von mir auf der Zuschauertribüne. Ein besonderes “Völkli”, welche eine herbe, derbe, harte Sprache mit Kraftausdrücken versehen, liebt. Und das Ganze muss laut vorgetragen werden, man soll sie ja hören, denn man möchte bewusst provozieren – vor allem auch mit primitven Witzen. “Gherig gruisig” – und wenn man es nicht mag, wird man ausgelacht.

Für mich sind also die wirklichen “Halbstarken” nicht die Töfflibuben, welche am Rennen teilnahmen, sondern viele der Zuschauer.

Fazit: wer bloss wegen den fantasievoll geschmückten Töfflis anreist, kann an jeder Fasnacht solches sehen und muss keine Fr. 15.– Eintrittsgeld bezahlen. Wer originelle Rennen und kuriose motorbetriebene Fahrzeuge mag und frisierte Töffli, dem sei der Anlass empfohlen. Ich habe es nun mal “gesehen” – muss ich nicht nicht unbedingt ein weiteres Mal erleben.

Impressionen auf Youtube.

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